Es ist faszinierend, wie sich unser Konsumverhalten und unser Leben in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit lief nachts im Fernsehen allerlei Werbung für fragwürdige „Dienstleistungen“ verbunden mit „Mehrwert“-Rufnummern. In grellen Farben, stöhnend, auffordernd, versprach sie Spaß, soziale Kontakte und Unterhaltung – wenn man nur bereit war, für jede Minute einen obszönen Betrag zu zahlen. Und dann waren da noch die betrügerischen Dialer die sich unbemerkt auf dem Computer installierten und zack war man in einer der berüchtigten Tefefon-Abo-Fallen gelandet. Die Verbraucherrechte wurden gestärkt, und diese bunten, undurchsichtigen Fallen verschwanden langsam.
Doch wurden wir wirklich befreit? Oder sind wir nur auf subtilere, allgegenwärtigere Abo-Modelle umgestiegen, die uns zwar sanfter und freundlicher, aber immer noch in Ketten legen?
Die Abo-Gesellschaft: Zwischen Komfort und Kontrollverlust?
Heutzutage abonnieren wir nicht nur Zeitungen, Musik- und Videostreaming-Dienste, sondern auch Apps, Programme, Versicherungen, Stromtarife, Telefonverträge und selbst Dinge wie Boxen für Lebensmittel, Kosmetik und Kleidung, bis hin zu unserer Zahnpasta, unserem Waschmittel, Kaffee und unserem Fitnessstudio. Und unsere Miete ist ja auch irgendwie nur ein Abonnement für ein Dach über unseren Köpfen. Die Liste ist endlos und oft so alltäglich, dass wir gar nicht merken, wie sich die Anzahl unserer Abonnements stapelt und wächst.
Der Charme dieser Abonnements liegt meist in ihrer Bequemlichkeit: Alles ist sofort und automatisch verfügbar, alles wird uns direkt nach Hause geliefert, und das mit einem Minimum an Aufwand. Uns wird Arbeit oder Aufwand abgenommen, aber auch die Selbstbestimmung.
Doch was ist der Preis dieser Bequemlichkeit? Michel Foucault hätte hier wohl vom „subtilen Machtapparat“ gesprochen, einer Art moderner Überwachungs- und Kontrollmechanik, die uns ständig mit einem Gefühl der Abhängigkeit und Verpflichtung versorgt. Denn während wir glauben, unsere Wahlfreiheit zu genießen, sind wir doch an unzählige monatliche Zahlungen gebunden. Sie leeren unsere Konten langsam, aber kontinuierlich – ein unaufhörliches Tropfen, bis der ohnehin meist nicht vorhandene Geldspeicher geleert ist.
Zusätzlich bezahlen wir mit den kritischsten zur Verfügung stehlen Zahlungsmitteln – unseren ganz privaten, intimen Daten und unserem Nutzungsverhalten.
Der psychologische Druck der Dauerverpflichtung
Psychologisch betrachtet spielt die Abo-Falle auf kluge Weise mit unserem Streben nach Sicherheit und Stabilität. Die regelmäßige Zahlung gibt uns das Gefühl, die Kontrolle über unser Leben zu haben, während wir gleichzeitig stets in einem Kreislauf der Bindung bleiben. Bis wir es schaffen das Abo zu kündigen. Oh Freiheit!
- „Das Ziel im Leben ist nicht, aufseiten der Mehrheit zu stehen, sondern aus den Reihen der Wahnsinnigen auszubrechen.“
— Mark Aurel
Aus soziologischer Sicht könnte man von einer neuen Form der „digitalen Knechtschaft“ sprechen, die sich tief in unsere Alltagsstrukturen eingegraben hat. Wir nehmen an, dass es „einfach so ist“ und fügen uns. Das moderne Individuum wird dadurch permanent erinnert: Du bist zwar frei, aber nur innerhalb der Rahmenbedingungen, die dir das System setzt.
Gestern habe ich eine neue Erfahrung gemacht, die mich dazu bewogen hat diesen Artikel zu schreiben. Selbst der Staat bzw. die EU zwingt uns indirekt diese Abo-Fallen auf. Hier im Zusammenhang mit der kommenden Verpflichtung der E-Rechnung. Da sind sie, die X-Files – Entschuldigung – xRechnung, ZUGFeRD, XML, WTF?
Zur Erklärung: Eine E-Rechnung ist eine elektronische Rechnung, die in einem strukturierten Datenformat (XML) erstellt, übermittelt und empfangen wird. Sie soll eine automatische Verarbeitung ermöglichen. Formate wie PDF, JPG oder DOCX gelten nicht als E-Rechnung, da sie keine strukturierten Daten enthalten. Die E-Rechnung soll sicherstellen, dass E-Rechnungen in der gesamten EU einheitlich und maschinell verarbeitbar sind.
Ab dem 1. Januar 2025 werden E-Rechnungen für alle B2B-Transaktionen in Deutschland verpflichtend. Bis zum 31. Dezember 2027 dürfen noch Rechnungen in Papierform oder als nicht normgerechte E-Rechnungen (mit Zustimmung des Empfängers) weiterhin verwendet werden. Dies betrifft auch kleine Unternehmen und Kleinunternehmer. Als hätte man als Selbständiger ohnehin nicht schon genug zusätzliche Abonnements für z.B. Versicherungen, Software und Dienstleistungen.
Hier wird meiner Meinung nach einmal mehr zu Lasten der kleinen Unternehmer ein „Standard“ eingeführt, der sich nicht ohne weiteres implementieren lässt ist. So werden die meisten auch hier in einem Abonnement landen, um Rechnungen versenden und empfangen zu können. Dies wird zusätzliche, nicht unerhebliche (monatliche) Mehrkosten bedeuten. Hey! Was soll das? Und das sage ich als Verfechter der EU.
Ein weiterer Verlust der Vielfalt droht, wenn diese Unternehmer entnervt und pleite aufgegeben haben.
Zurück zum endlosen Kreislauf des Konsums
Jean Baudrillard, der große Denker der Konsumgesellschaft, hätte vielleicht noch auf das Konzept des „simulierten Glücks“ verwiesen, das durch diese Abos erzeugt wird. Der ständige Zugang zu Unterhaltung und Dienstleistungen gaukelt uns ein Leben in Fülle vor, während uns der eigentliche Besitz und die Kontrolle entgleitet. Nichts gehört uns wirklich, alles ist geliehen – temporär, solange wir zahlen. Sogar unsere Bücher, Musikbibliothek oder die Filme, die wir „besitzen“, verschwinden in dem Moment, in dem wir das Abo kündigen. Vielleicht auch unser Leben?
Dies führt zu einer paradoxen Situation: Wir sind immer umgeben von einer Fülle an Möglichkeiten, aber zugleich immer unfrei. Es ist eine moderne Form der Wegelagerei und eine Sisyphos-Aufgabe diese Abos zu verwalten. Wir bemühen uns ständig, die maximale Fülle des Konsums zu erreichen, wohl wissend, in vielen Fällen vielleicht auch unwissend, dass wir am Ende wieder am Anfang stehen – mit leeren Händen – Wie passend zum Tod.
Gleichzeitig ist zu beobachten wie viele Menschen verlernen Verantwortung zu übernehmen -für Hab und Gut und für sich selbst. Eine allgemeine Rücksichtslosigkeit und Egoismus macht sich breit wie die querliegenden Elektroroller auf den Gehwegen.
Von der Mehrwert-Rufnummer zur Abo-Welt: Der Wandel der Abhängigkeit
Wenn man sich an die Zeiten der Mehrwert-Rufnummern erinnert, wird deutlich, dass es eine Verschiebung, aber keine Besserung gegeben hat. Damals haben diese Rufnummern Abhängigkeiten und finanzielle Verluste verursacht, die viel zu spät und auch nur bedingt durch Verbraucherschutzgesetze reguliert wurden. Heute sind die Abo-Modelle viel tiefer und omnipräsenter in unser Leben integriert. Sie sind überall: in unserer Freizeit, bei der Arbeit, in unserer Kommunikation und sogar in unserer Freizeitgestaltung. Alles hat einen Preis, und dieser Preis wird nicht einmalig, sondern wöchentlich, monatlich oder jährlich gezahlt – ein endloser Fluss des Geldes, der uns aus der Tasche rinnt. Ach komm – nimm doch einfach alles von mir!
- „Die Maschinen nehmen uns die Arbeit ab – das ist ihre Bestimmung. Was bleibt, ist die Aufgabe, die Menschen dafür zu entschädigen.“
— Yanis Varoufakis, griechischer Wirtschaftswissenschaftler und Politiker.
Doch was wäre die Alternative? Ganz ohne Abonnements zu leben, ist in der heutigen Gesellschaft so gut wie unmöglich geworden. Die Abo-Fallen sind tief verwoben mit der Infrastruktur, die unser tägliches Leben bestimmt. Um uns wirklich zu befreien, bräuchte es ein radikales Umdenken – ein neues Verständnis von Freiheit, das sich gegen die subtile Tyrannei der Dauerverpflichtungen richtet. Wir müssten uns darauf besinnen, was wir wirklich brauchen und was uns nur eingeredet wird. Ich hoffe das hier wirklich ein Umdenken stattfindet, eine Revolte – wieder hin zur Einfachheit und zur eigenen Verantwortlichkeit.
Aber dies dürfte mein Wunschdenken bleiben. Wir werden immer mehr zu Konsumenten gemacht, die am Ende nicht mehr konsumieren können weil es keine Lohnarbeit mehr geben wird, durch die wir uns das alles heute gerade noch so leisten können.
- „Die Automatisierung wird die menschliche Arbeit nicht mehr benötigen. Es liegt an uns, ob wir eine Gesellschaft schaffen, die diesen Fortschritt für das Wohl aller nutzt.„
— Andrew Yang, amerikanischer Unternehmer und Politiker.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre eine sinnvolle Lösung für die zunehmenden Herausforderungen unserer Zeit und unserer Zukunft, da es Sicherheit, Freiheit und wirtschaftliche Stabilität in einer sich rapide verändernden Arbeitswelt gewährleisten würde. Ohne ein solches Mittel riskieren wir, in eine Zukunft voller Armut, sozialer Ungerechtigkeit und Instabilität zu geraten. Deshalb ist ein grundlegendes Umdenken und die Schaffung neuer Formen der sozialen Absicherung notwendig, um eine gerechtere und friedlichere Gesellschaft zu ermöglichen. Unsere Abonnements wären zumindest teilweise gesichert.
An anderer Stelle werde ich sicher noch häufiger auf das BGE eingehen und werde hier die Artikel dann hier verlinken.
- „Wenn wir nicht in die Menschen investieren, werden wir eine Welt der Ungerechtigkeit und der Ungleichheit schaffen, die niemand haben möchte.“
— Barack Obama, ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten.
Ein Recycling-Abonnement ab Geburt, als erstes und letztes Abonnement?
Bleibt nur noch das Alpha und das Omega der Abonnements. Ein geradezu zukunftsweisendes dazu – Ein verpflichtendes Abo ab der Geburt, das das eigene Recycling nach dem Tod sicherstellt. Schon zu Lebzeiten könnte ein Mensch sich dazu verpflichten, eine nachhaltige Rückführung seiner Überreste in den Kreislauf sicherzustellen. Ein solches Abo könnte eine umfassende Planung und Organisation der Wiederverwertung des eigenen Körpers ermöglichen, um eine ressourcenschonende und CO2-neutrale Zukunft zu fördern.
Letztlich stellt sich die Frage, in wie weit wir bereit sind, unsere Freiheit, Selbstbestimmung und unsere Fähigkeiten in weiteren Abonnements zu parken und in fremde Hände zu legen, mit der Gefahr diese irgendwann zu verlieren.
- „Freiheit ist, wenn man die Wahl hat, und nicht die Pflicht.„
— Jean-Paul Sartre, französischer Philosoph.
Bücher zum Thema
Michel Foucault – Überwachen und Strafen
Ersterscheinungstermin: 10.04.1977
Erscheinungstermin (aktuelle Auflage): 17.10.2022
Broschur, 408 Seiten
ISBN: 978-3-518-27784-3
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Das Buch bei Suhrkamp:
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