Auf einer abgelegenen Bergstraße, umgeben von Bergwiesen und majestätischen Gipfeln, standen zwei Fotografen, fasziniert von der Schönheit der Natur. Sie atmeten die klare Bergluft ein und konzentrierten sich auf Landschaftsaufnahmen und ein paar Details am Straßenrand – und auch auf das kleine Mauthäusschen, das sich in die Szenerie einfügte. Sie waren sich ihrer Verantwortung als Fotografen bewusst und achteten sorgfältig darauf, keine Menschen oder Fahrzeuge abzulichten und das Recht auf Privatsphäre zu wahren. Wer möchte so etwas auch auf einem Foto haben.
Plötzlich bemerkten sie aus dem Augenwinkel, wie die Mautstation-Mitarbeiterin mit wütendem Blick und geballten Fäusten wie ein Unwetter auf sie zustürmte. „Was machen Sie da?!“, schrie sie, ihre Stimme durchbrach die friedliche Stille der Berge. „Sie haben mich fotografiert, das ist eine Unverschämtheit!“
Überrascht von ihrer heftigen Reaktion versuchten die Fotografen, sie zu beruhigen. „Sie sind gar nicht auf den Bildern“, erklärte einer ruhig. „Wir fotografieren nur die Landschaft.“
Doch die Mitarbeiterin ließ sich nicht beschwichtigen. „Doch, Sie haben mich fotografiert! Sie haben meine Persönlichkeitsrechte verletzt“, wetterte sie, als wäre eine schwere Straftat geschehen.
Die Stimmung kippte. Die Fotografen, die eben noch ruhig argumentiert hatten, spürten die Ungerechtigkeit in der Situation und reagierten schärfer: „Entschuldigen Sie, wir wissen genau, was wir fotografieren. Auf unseren Bildern sind Sie nicht zu sehen!“
Doch die Wut der Mitarbeiterin hallte wie ein abgehender Steinschlag durch das Tal und bald war die Stimmung auf beiden Seiten düster. Mittlerweile wurden beide Fotografen lauter, um sich des Angriffs zu verteidigen – sie passten sich ihrem Gegenüber an.
„Wir wissen um Panoramafreiheit und Persönlichkeitsrechte. Sie sind nicht Teil unserer Aufnahmen“, platzte es schließlich noch heraus. Aber die Mitarbeiterin lies sich nicht beschwichtigen und war keinen Argumenten und Erklärungen zugänglich. Sie wollte sich noch nicht einmal die gemachten Aufnahmen ansehen.
Es war, als hätte man zwei Spiegel gegenübergestellt: Die Wut der Mitarbeiterin spiegelte sich in den Fotografen, die – bemüht um rationale Erklärungen – schließlich selbst in den Strudel der Konfrontation gerieten.
Nach einigen hitzigen Minuten der vergeblichen Erklärungsversuche war klar, dass es hier keine Lösung geben würde. Die Fotografen, beide gleichermaßen verärgert, gaben schließlich auf und packten ihre Ausrüstung ein. „Manchmal“, sagte einer sarkastisch, „ist das größte Hindernis nicht das Licht, sondern der Mensch.“
Sie fuhren weiter, die Wut hatte sich lange nicht gelegt und ein Gefühl der Absurdität blieb. Manchmal, so dachten sie, könne man noch so sorgfältig vorgehen, und trotzdem führt die Begegnung mit der irrationalen Seite des Lebens zu einer Eskalation.
Vom „Spiegeln“
Das Phänomen des „Spiegelns“ beschreibt, dass Menschen unbewusst die Tonlage, Körperhaltung oder wie oben beschrieben auch die Aggression ihres Gegenübers übernehmen. Diese Verhaltensweise ist eine in der menschlichen Evolution verankerte soziale Anpassungsstrategie, die dabei hilft, Empathie und Rapport aufzubauen. In Stresssituationen kann das Spiegeln jedoch dazu führen, dass negative Reaktionen wie das Nachahmen von Aggression entstehen, sowohl verbal als auch körperlich.
In stressigen Momenten wird unser Kampf-oder-Flucht-System aktiviert (Fight-or-Flight). Eine aggressive Reaktion dient dabei durchaus dem Selbstschutz. Der Betroffene spiegelt die Aggressivität seines Gegenübers, weil er instinktiv eine Bedrohung wahrnimmt und sich verteidigen möchte.
Menschen sind von Natur aus soziale Wesen, und unbewusstes Nachahmen, auch als Mimikry bezeichnet, hilft uns in sozialen Gruppen besser zu interagieren. Spiegeln schafft Verbindungen und vermittelt uns das Gefühl Teil einer Gruppe zu sein. In Konfliktsituationen kann diese Synchronisation jedoch zu negativen Verhaltensmustern führen.
Wenn jemand aggressiv oder laut ist, empfinden wir diese Emotion als Bedrohung. Unser Körper reagiert darauf, indem er ähnliche Gefühle erzeugt, was wiederum dazu führt, dass wir uns emotional auf das gleiche Niveau begeben und entsprechend reagieren. DIes bezeichnet man auch als emphatische Resonanz.
Um dieses automatische Verhalten zu vermeiden, ist es wichtig, achtsam zu sein und die eigene emotionale Reaktion zu erkennen. Anstatt sofort reflexartig zu reagieren, sollte man innehalten und die eigene Gefühlslage reflektieren. Fragen wie „Warum fühle ich mich so?“ oder „Ist es wirklich notwendig, in dieser Situation aggressiv zu reagieren?“ helfen, die Reaktion zu überdenken.
Es kann auch hilfreich sein, duch eine kognitive Umstrukturierung die eigene Wahrnehmung bewusst zu verändern, indem man erkennt, dass die Aggression des Gegenübers keine persönliche Bedrohung darstellt. Anstatt die Tonlage oder Aggression zu übernehmen, kann man versuchen ruhiger und sachlicher reagieren.
Ein bewusster Kommunikationsstil, der auch unter Stress ruhig bleibt, ist eine weitere wichtige Strategie. Dies bedeutet, sich nicht auf Aggressionen einzulassen, sondern klare, aber ruhige Aussagen zu treffen, um den emotionalen Ton der Situation zu deeskalieren.
In Situationen, in denen es wiederholt zu aggressiven Auseinandersetzungen kommt, kann es ratsam sein, sich selbst zu schützen, indem man sich vorübergehend aus der Situation zurückzieht, um Eskalationen zu vermeiden. Dies ist besonders in beruflichen oder familiären Kontexten wichtig, in denen solche Verhaltensmuster häufiger auftreten.
Immanuel Kant betonte, dass die Würde des Menschen in seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung liegt. Diese Fähigkeit schließt die bewusste Entscheidung darüber ein, wie wir auf andere reagieren. Anstatt uns von unbewussten Mustern oder Reflexen leiten zu lassen, können wir durch bewusstes Handeln ein harmonischeres Miteinander schaffen. Solche Strategien helfen nicht nur, Konflikte zu entschärfen, sondern stärken auch die eigene emotionale Stabilität und fördern ein respektvolleres und achtsameres Umfeld.
Und wenn alles nicht hilft, hilft immer noch der eigene Rückzug!
Abschließend kann man dies noch einmal aus Sicht der Mitarbeiterin betrachten. Sie fühlte sich gestört und hat sich geärgert vermeintlich Fotografiert zu werden. Soweit kann ich dies nachvollziehen. Nicht aber die Art wie Sie auf die Fotografen losging. Zudem dürften die beiden nicht die einzigen sein die Fotos an diesem Ort machen, da es sich um einen touristischen Hotspot handelt. Dazu fahren täglich hunderte Autos und Motorräder mit montierten Actioncams oder 360° Kameras dort vorbei. Denkbar wäre vielleicht ein Schild anzubringen, das Fotografieren und Filmen untersagt – aber wo kämen wir da hin? Menschen möchten am Urlaubsort Erinnerungsfotos machen. In Zeiten von Social Media mag dies auch mitunter auf ein unerträgliches Maß ausufern – an dieser Stelle kann hiervon sicher nicht die Rede sein