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Hessenschau Kommentar zu einem Beitrag
Foto: Sven E. Hofmann

Demokratie aufs Abstellgleis?

Mein Kommentar zu einem Beitrag der Hessenschau auf Social Media (Instagram).
26. November 2024

Unser Wiesbaden, Landeshauptstadt Hessens, Kurstadt voller Geschichte, Thermalquellen, hübscher Architektur und ohne eine Straßenbahn seit 1955. Die Stadt entschied sich damals für ein vollständig auf Busse basierendes Nahverkehrssystem. Diese Entscheidung wurde unter anderem aufgrund steigender Automobilität und dem Wunsch nach mehr Flexibilität im Verkehrssystem getroffen.

Verkehrsprobleme oder Planungsversagen?

In letzter Zeit scheinen die Verantwortlichen, wenn es um Verkehrsplanung geht, nicht das Steuer, sondern die Ideologie und Einfältigkeit in der Hand zu haben. Bürgerentscheide, die ein Grundpfeiler demokratischer Prozesse waren und sind, werden in der Politik – hier vom hessischen Innenminister – als Hindernis wahrgenommen, und auch so manch anderer Politiker scheint zu glauben, dass das Volk schlicht zu unbequem ist, um die „Vision“ vom Fortschritt zu teilen. Also möchte man einfach jede Bürgerbeteiligung ersticken – in den Abgasen derer, die in den täglichen Staus in der Innenstadt stehen.

Dass Wiesbaden keinen Bock auf eine Straßenbahn hat, wie es plakativ in einem Beitrag der HS in sozialen Medien hieß, ist kein Ausdruck jugendlicher Launen, sondern das Ergebnis einer demokratischen Abstimmung. 60 % der Bürgerinnen haben sich gegen die Bahn entschieden – und das sicher nicht, weil sie sich in Ideenlosigkeit üben oder den Fortschritt ablehnen – sondern weil es gute Gründe gegen eine Straßenbahn gab und gibt.

Auch ich habe meine Meinung und Kritik zur Straßenbahn in Wiesbaden. Unter anderem würde sie Flächen exklusiv beanspruchen, ohne den Verkehr wesentlich zu entlasten. Die Vorstellung, dass sich durch eine Straßenbahn die Zahl der Kraftfahrzeuge magisch reduziert, ist nichts weiter als eine naive Utopie. Der Verkehr würde bleiben und noch dichter werden. Dazu Kosten, Lärm und mögliche Schäden an historischen Gebäuden durch den Bau und Betrieb. Gefragt sind zukünftig nach wie vor flexible, anstatt starre Konzepte und Verkehrsmittel.

Was passierte nach dem Bürgerentscheid? Statt den demokratischen Willen der Bevölkerung als Auftrag zu verstehen, eine tragfähige Alternative zu entwickeln, verfiel man bis heute ins Lamentieren à la „hätte, hätte, Fahrradkette“. Seit dem wurden Fahrradwege aus dem Boden gestampft, Fahrspuren reduziert, Parkplätze vernichtet. Das Ergebnis: Ein wenig grüner Schilderwald, unübersichtliche Verkehrssignalanlagen, noch mehr Stau, noch weniger Raum und eine zunehmende Frustration der fahrrad- und autofahrenden BürgerInnen. Das Ganze gipfelte zuletzt in einem CO2 Alarm in einem der Parkhäuser weil der Verkehr nicht abfließen konnte. Auch vom funktionieren des DIGI-V merke ich bis heute wenig.

Baustellen als Dauerzustand

Dies mag daran liegen, dass unzählige Baustellen das Bild der Stadt prägen, und zwar nicht für Wochen oder Monate, sondern – und das nicht nur gefühlt – für Jahrzehnte, wie im Falle der geplanten Umgestaltung der Schwalbacher Straße.

Die Versuchung der Macht

Nun also die Forderung, Bürgerentscheide abzuschaffen – das demokratische Mitspracherecht soll auf die anfänglichen Planungsphasen begrenzt werden.

Ernsthaft? Ich mach mir die Welt so wie sie mir gefällt? Was im Kontext mit Pipi Langstrumpf lustig sein mag, ist bei einem Minister unangebracht und einer Demokratie nicht angemessen.

Demokratie ist nicht bequem. Sie ist schon gar nicht eine Strassenbahn die ohne Halt durchfährt. Die Abschaffung oder Einschränkung von Bürgerentscheiden wäre nichts anderes als ein demokratischer Rückschritt – ein Signal, dass der Wille der Menschen nur dann zählt, wenn er den politischen Eliten genehm ist.

Demokratie braucht Geduld, keine unsinnigen Baudenkmäler

Die Demokratie zu stärken bedeutet nicht, sie zu umgehen, sondern sie zu schützen und fördern – auch, wenn es unbequem wird. PolitikerInnen dürfen sich nicht über den Willen der Bevölkerung hinwegsetzen, um sich mit Prestigeprojekten Denkmäler zu setzen. Ob es um Straßenbahnen, Fahrradwege oder Windräder geht: Entscheidungen müssen pragmatisch, transparent und vor allem mehrheitsfähig sein. Niemand würde aufbegehren, wenn Projekte angemessen und sinnvoll sind. Beste Negativbeispiele: Flughafen BER und Stuttgart 21 – Hier und anderswo gab es berechtigte Einwände – die missachtet wurden – zulasten der Menschen und SteuerzahlerInnen.

Die Probleme Wiesbadens liegen nicht in der Ablehnung einer Straßenbahn, sondern in einer verfehlten Stadt- und Verkehrsplanung. Die Straßenbahn wurde nicht abgelehnt, weil die Menschen keine Lösung für den Verkehr wollen, sondern weil sie die präsentierte Lösung für falsch hielten. Der Widerstand gegen die Bahn war ein Akt der Mündigkeit, keine Kapitulation vor dem Verkehrschaos.

Direkte Demokratie ist keine Blockade, sondern ein Werkzeug, das BürgerInnen Gehör verschafft. Ihr den Zahn zu ziehen, nur weil Ergebnisse nicht den politischen Erwartungen entsprechen, ist schlichtweg autoritär.

Die Verkehrsprobleme Wiesbadens könnten gelöst werden – nicht durch Symbolpolitik, sondern durch echtes Umdenken. Statt ideologische, realitätsferne Projekte durchzudrücken, sollte die Stadt mit den Menschen zusammenarbeiten: bessere flexible Busnetze, intelligente Verkehrsleitsysteme, ein Ausbau der Radwege an passenden Stellen, eine angemessene Berücksichtigung des Individualverkehrs – dazu gehört auch der ruhende Verkehr – und vor allem der autofahrenden AnwohnerInnen – all das mit Augenmaß und vor allem in einem Dialog, der BürgerInnen nicht als Hindernis sieht, sondern als PartnerInnen.

Auf der einen Seite Autos und den Individualverkehr zu verteufeln und auf der anderen Seite die Automobilindustrie zu fördern und Arbeitsplätze zu erhalten ist paradox. Genauso kann niemand ernsthaft erwarten, dass jeder zu Fuß läuft oder mit dem Fahrrad fährt – in jedem Alter und zu jeder Jahreszeit. Zurück in die Vergangenheit? Oder in eine mobile Zukunft, die jeden mitnimmt?

Der Social-Media-Beitrag der Hessenschau wirft sowohl inhaltlich als auch journalistisch Fragen auf. Der Einstieg „Wiesbaden hat keinen Bock auf eine Straßenbahn“ wirkt plakativ und abwertend. Obwohl auf das Abstimmungsergebnis hingewiesen wird, simplifiziert die Formulierung die komplexen Gründe hinter der Entscheidung der Bürger.

Die Gegenüberstellung idyllischer Marketing-Straßenbahn-Szenen und staugeplagter Innenstadt wirkt stark suggestiv und lässt eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Sachlage vermissen. Besonders problematisch ist die Forderung, Bürgerentscheide abzuschaffen oder auf frühe Planungsphasen zu beschränken, die ohne ausreichende Argumentation oder Kontext dargestellt wird. Ebenso unglücklich ist die alleinige Hervorhebung der AfD als Kritikerin der Abschaffungsdebatte, wodurch der Eindruck entsteht, sie sei die einzige Stimme für Bürgerrechte. Wollte keine andere Partei Stellung beziehen?

Bürgerentscheide sind ein wichtiges Instrument direkter Demokratie. Der Beitrag vernachlässigt jedoch die Diskussion um das Spannungsfeld zwischen Bürgerbeteiligung und effizienter Planung. Die visuelle und inhaltliche Gestaltung wirkt einseitig, suggestiv und emotionalisiert. Es fehlen neutrale Sachlichkeit sowie eine ausgewogene Darstellung der demokratischen Funktion und der Kontroversen rund um Bürgerentscheide.

Für alle WiesbadenerInnen bleibt nur zu hoffen, dass sich mit dem Wegfall der Baustellen die Situation verbessern wird und für alle BürgerInnen weiterhin uneingeschränkt die Möglichkeit bestehen bleibt Entscheide herbeizuführen.

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