Das erschütternde Geschehnis auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg, bei dem ein Mann mit dem Auto in eine Menschenmenge fuhr und dabei Tote und Verletzte hinterließ, wirft nicht nur Fragen nach den Hintergründen der Tat auf, sondern entlarvt auch die Abgründe, in denen sich unsere Gesellschaft zunehmend bewegt.
Amoktaten sind ein vielschichtiges Phänomen, das oft auf soziale Isolation und Ausgrenzung, psychische Erkrankungen, Mobbing oder tief empfundene Demütigung zurückzuführen ist. Die Täter, meist (junge) Männer, sehen ihre Taten als letzten Akt der Selbstermächtigung, oft getrieben von Rachefantasien oder ideologischen Überzeugungen. Während in den USA die leichte Verfügbarkeit von Waffen und eine stark individualistische Kultur eine Rolle spielen, stehen in Europa häufig persönliche Konflikte und psychische Belastungen im Vordergrund. Ein sensibler Umgang mit psychischen Problemen, präzise Präventionsarbeit und eine verantwortungsvollere mediale Berichterstattung könnten dazu beitragen, solche Taten zu verhindern. Gleichzeitig fordert dieses Phänomen uns gesellschaftlich heraus, den Umgang mit Ausgrenzung und sozialer Kälte zu überdenken und Werte wie Würde, Empathie, Wertschätzung und Zusammenhalt zu stärken.
Während hierzulande die Ermittlungen noch laufen und über die Motive des Täters, dessen islamfeindliche Haltung sowie die Nähe zu rechtspopulistischen Gedankengut diskutiert wird, nutzen radikale Gruppen das tragische Ereignis für ihre Zwecke.
Es ist ein verstörendes und abscheuliches Muster: Jede Tragödie wird zum Treibstoff für Hetze und Parolen.
Wie die FAZ berichtet, marschierten in den Straßen Magdeburgs am Abend der Trauerfeier Rechtsradikale, die sich nicht mit der Trauer um die Opfer aufhalten. Stattdessen zeigen sie Transparente mit Aufschriften wie „Remigration“, skandieren, Politiker*innen abschieben zu wollen und schüren Hass gegen jene, die nicht in ihr Weltbild passen.
Diese Eskalation zeigt, dass wir nicht nur gegen individuelle Gewalttaten kämpfen, sondern auch gegen eine schleichende Erosion demokratischer Werte. Aber kämpfen wir hier genug gegen diese Strömungen an?
Die gefährliche „Faszination“ des rechten Gedankenguts
Rechtsextreme Narrative sind längst kein Randphänomen mehr. Sie haben sich längst über soziale Netzwerke, Parteien und vermeintliche „Bürgerbewegungen“ in die Mitte der Gesellschaft gefressen. Diese Entwicklung ist Teil eines Trends, der sich in ganz Europa beobachten lässt. Der Erfolg rechtspopulistischer Parteien in Ländern wie Italien, Schweden oder Ungarn zeugt von einem Umbruch, der die Demokratie als politisches System herausfordert und bedroht.
Worauf gründet sich diese gefährliche Dynamik? Ich möchte zwei Kernaspekte benennen:
Die Suche nach der einfachen Antwort:
In einer Welt, die immer komplexer wird, bieten rechte Ideologien eine verführerische Vereinfachung an. Probleme wie Migration, wirtschaftliche Ungleichheit oder soziale Veränderungen werden auf einzelne Sündenböcke und Randgruppen projiziert.
Das Gefühl des Kontrollverlustes:
Viele Menschen erleben den rasanten Wandel der Gesellschaft – sei es technologisch, kulturell oder ökonomisch – als Bedrohung. Rechte Strömungen bieten ihnen eine vermeintliche Rückkehr zu Ordnung und Kontrolle.
Die FAZ sprach auch davon das viele Migranten mit Traumata zu uns kommen. Geflohen vor den Schrecken im eigenen Land. Ich mag mir auch nicht vorstellen, welche Traumata eine Flucht, z.B. in einem Schlauchboot über das Mittelmeer, zusätzlich zu verursachen mag. Aber sind wir es nicht, unsere Gesellschaft und unsere Lebensweise die dies verursachen? Führen wir unser Leben nicht auf Kosten anderer? Basiert unser „Reichtum“ nicht auf der „Armut“ anderer? Wäre es nicht an uns diese Menschen mit offenen Armen aufzufangen, zu helfen und zu integrieren? Natürlich geschieht dies – wenn ich allerdings an all die Flüchtlingslager denke die es gibt, frage ich mich mich aber, ob wir genug tun – Migration soll hier aber gerade nicht das Thema sein.
Die Demokratie muss geschützt werden – aber wie?
Das wichtigste ist der fortlaufende Diskurs – auch wenn dieser zunehmend anstrengender wird! Der Schutz der Demokratie erfordert jedoch mehr als einfache Lippenbekenntnisse. Es braucht einen klaren, strukturellen und individuellen Einsatz:
Demokratie lebt vom Wissen um ihre Grundlagen. Politische Bildung muss deshalb bereits in Schulen eine zentrale Rolle spielen. Es gilt, allen Menschen Werkzeuge an die Hand und den Verstand zu geben, um Mechanismen des Populismus zu entlarven und die Gefahren zu verdeutlichen, die von antidemokratischen Bewegungen, rechten wie linken, ausgehen.
In Skandinavien setzen Schulen auf "kritisches Denken" als Unterrichtsziel. Kinder und Jugendliche lernen, Argumente zu analysieren, Fake News zu erkennen und Diskurse kritisch zu hinterfragen.
Menschen, die mit rechtem Gedankengut sympathisieren, sind oft emotional getrieben. Es hilft, ihnen mit Fakten zu begegnen, gleichzeitig aber auch die emotionale Ebene anzusprechen.
Der Philosoph Jürgen Habermas betont in seiner Diskursethik, dass gegenseitiges Verstehen die Grundlage demokratischer Kommunikation ist. Den Dialog zu suchen bedeutet nicht, Extremismus zu legitimieren, sondern ihn zu entkräften.
Die Haltung vieler Politiker „mit DENEN reden wir nicht“ ist grundlegend falsch und spielt DENEN in die Hände. Eine Partei die in Teilen als rechtsradikal erklärt wurde und die an Mitgliedern festhält, die ebenso eingestuft wurden, ist nicht demokratisch. Menschen die eine solche Partei wählen, stellen sich klar gegen die Werte der Demokratie.
Wer schweigt, stimmt zu.
Es braucht mutige Stimmen, die sich in Alltagssituationen klar positionieren, sei es am Arbeitsplatz, in der Familie oder im Freundeskreis. Eine einfache Aussage wie: „Ich sehe das anders – Rassismus hat hier keinen Platz“ kann bereits einen Unterschied machen.
Klare Aussagen gegen Rassismus, Ausgrenzung, Diskriminierung, usw. sind wichtig und essentiell!
Demokratische Institutionen müssen gestärkt werden. Dazu gehört vor allem eine freie Presse und Berichterstattung. Medien müssen unabhängig bleiben, investigativen Journalismus betreiben und Hetzkampagnen entlarven. Genauso muss der Rechtsstaat wehrhaft bleiben. Dazu gehört, dass Polizei und Justiz konsequent gegen Hasskriminalität und Hetze vorgehen.
Was kann man Menschen konkret entgegnen?
In Gesprächen mit Sympathisant*innen rechten Gedankenguts ist es wichtig, differenziert zu bleiben. Anstelle pauschaler Verurteilungen sollte man mit Fragen arbeiten:
„Warum glaubst du, dass eine rechte Partei zu wählen die bessere Lösung ist?“
„Findest du es OK, Menschen anhand ihrer Herkunft, Religion oder anderer Merkmale zu bewerten?“
„Hast du dir mal überlegt, wie solche Ansichten langfristig unsere Gesellschaft und unser Land verändern würden?“
Die Soziologin Hannah Arendt zeigte in ihrer Analyse des Totalitarismus, dass Gleichgültigkeit und Gedankenlosigkeit die größten Feinde der Demokratie sind. Menschen zu kritischem Nachdenken zu bewegen, ist daher ein entscheidender Schritt.
Der Rechtsruck als Gefahr für die Freiheit
Europa steht an einem Scheideweg. Die Bundestagswahl wird ein Prüfstein dafür sein, wie sehr demokratische Werte noch in der Gesellschaft verankert sind. Es darf nicht unterschätzt werden, wie nah wir an einem Punkt sind, an dem sich demokratische Normen verschieben. Heute sind es Parolen auf der Straße, morgen vielleicht Gesetzesänderungen, die Grundrechte einschränken.
Umso wichtiger ist es, sich auf das zu besinnen, was Demokratie ausmacht: Diversität, Freiheit und Solidarität. Sie zu verteidigen, ist nicht nur eine politische, sondern eine moralische Aufgabe.
Mut und Haltung – mein Appell
Die Tat auf dem Weihnachtsmarkt war ein schrecklicher Einzelfall. Doch die Reaktionen darauf zeigen, dass unsere Gesellschaft anfällig für Spaltung und Radikalisierung ist. Dies dürfen wir nicht stillschweigend hinnehmen. Demokratie bedeutet Arbeit – Arbeit an uns selbst, an unseren Überzeugungen und vor allem unserem Zusammenhalt.
Wir müssen uns gegen Hass, Hetze und rechte Ideologien stellen – mit Worten, mit Taten und mit einer klaren Botschaft, dass Demokratie kein Geschenk ist, sondern ein Vermächtnis, das wir jeden Tag aufs Neue verteidigen und schützen müssen.
22.12.2024